„Die Menschen sind müde und zermürbt“

In einer Musik- und Malschule in Damaskus sollen Kinder und Jugendliche ein Musikinstrument erlernen und dabei ihr Kriegstrauma verarbeiten können. Fotos: cpd /Barjosef Paderborn, 20.12.19 (cpd). Wie geht es den Menschen in Syrien nach über acht Jahren Krieg? Die Frage stand im Mittelpunkt eines Informationsbesuches des Flüchtlingsbeauftragten des Erzbistums Paderborn, Domkapitular Dr. Thomas Witt, in Damaskus. „Die Menschen sind müde und zermürbt“, so der Direktor der Caritas Syrien, Riad Sargi. Was die Menschen am meisten interessiere, sei nicht mehr allein die persönliche Sicherheit. Inzwischen gehe es auch um Themen wie Bildung, Wohnraum – und vor allem um Arbeit. Nach Riad Sargis Angaben erreicht das durchschnittliche Einkommen mit 100.000 Syrischen Pfund (umgerechnet 175 Euro) nur etwa die Hälfte des Existenzminimums – und das auch nur, wenn es überhaupt Arbeit gibt.

Erschwerend kommt hinzu, dass die syrische Währung dramatisch an Wert verliert, ausgelöst durch die Wirtschaftskrise im Nachbarland Libanon, das für die Finanzen Syriens eine wichtige Rolle spielt. Über libanesische Banken wurden bislang auch Zahlungen nach Syrien abgewickelt, die Konten sind aktuell für Menschen in Syrien gesperrt. Die Folgen spüren auch Hilfsorganisationen wie die Caritas. Immerhin konnte bislang die syrische Caritas mit Unterstützung der Caritas aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien in den meisten Großstädten des Landes helfen. 250 Personen bietet die Caritas in Syrien Arbeit, davon 120 in Aleppo.

Mit wenig Personal und Geld leisten auch Schwester Annie und ihre Mitschwestern von der Ordensgemeinschaft der „Sisters of Jesus and Mary“ Großartiges. Mit Unterstützung aus dem Erzbistum Paderborn betreibt der Orden fünf Projekte, um Menschen Arbeit und damit auch Hoffnung zu geben: eine Textilproduktion für Jeans in Aleppo mit 17 Beschäftigten, eine Näherei für Wäsche in Maaloula (24 Beschäftigte) und ein Imkerei-Projekt ebenfalls in Maaloula. Neu hinzugekommen ist eine Musik- und Malschule in Damaskus, in der 157 Kinder und Jugendliche ein Musikinstrument erlernen und dabei ihr Kriegstrauma verarbeiten können. Die Ordensgemeinschaft, deren eigentliche Aufgabe die Bildung und Erziehung junger Menschen ist, kann mit diesem Projekt 13 Personen Arbeit bieten. Als Reaktion auf dringende Bedürfnisse ist die Versorgung von 500 Personen mit Winterschuhen geplant.

Wie überall im Land herrscht großer Bedarf an Unterstützung bei der medizinischen Versorgung, insbesondere wenn Operationen anstehen. Sr. Annie plant fürs nächste Jahr ein entsprechendes Projekt. Außerdem plant sie eine Freizeitmaßnahme im Sommer für die Teilnehmer des Musikcenters. Sofern Mittel bereitgestellt werden, möchte sie bis zu 15 Studentinnen finanziell unter die Arme greifen.

Nach Angaben von Dr. Furat Makdes, Leiter einer vom Diözesan-Caritasverband unterstützten medizinischen Ambulanz in Kamischli, ist die Lage im Norden des Landes sehr angespannt. Zahlreiche Verletzte und Tote seien seit dem türkischen Einmarsch zu beklagen. In seinem Krankenhaus müsse er vermehrt operieren, ohne dafür Geld nehmen zu können, weil die Menschen einfach mittellos seien. Die internationale Hilfe komme, wenn überhaupt, nur bei den Menschen in den Lagern an. Die Nachfrage in der Ambulanz in Kamischli ist ungebrochen. Kamischli selbst sei zwar vom so genannten türkischen Sicherheitskorridor ausgenommen. Aber durch die Kranken und Verletzten aus den umliegenden Städten und Dörfern komme die Ambulanz an ihre Grenzen.

Weite Teile des Landes liegen immer noch in Trümmern, selbst in Damaskus gleichen viele Bezirke Ruinenlandschaften. Immer wieder wird die Stromversorgung unterbrochen. Die Infrastruktur des Landes ist zerstört. Unter diesen Bedingungen erscheint eine mögliche Rückführung von Flüchtlingen mehr als fragwürdig. „Wir dürfen uns von der augenscheinlichen Sicherheit nicht blenden lassen und einfach zur Tagesordnung übergehen“, so das Fazit von Dr. Witt. „Die Menschen in Syrien brauchen weiterhin unsere Solidarität.“

Spendenkonto: Diözesan-Caritasverband, IBAN: DE54 4726 0307 0000 0043 00 , oder online unter  www.bkc-spendenportal.de (Bereich Gutes tun; Caritasverband für das Erzbistum Paderborn; Syrien)