Februar 2024

1. Das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ wurde beschlossen – was ändert sich dadurch?

Nach dem Bundestag hat nunmehr auch der Bundesrat einer ganzen Reihe von Verschärfungen zugestimmt, die Abschiebungen erleichtern sollen. Diese finden sich im sogenannten Rückführungsverbesserungsgesetz, das in den vergangenen Monaten für reichlich Diskussionen gesorgt hat. Was für die einen massive Verletzung von Menschenrechten bedeutet, geht für die anderen nicht weit genug. Die Bundesregierung verspricht sich davon insbesondere Verbesserungen bei der Durchsetzung von Einreise- und Aufenthaltsverboten sowie der Abschiebung von Straftätern und Gefährdern, so zumindest die Bundesinnenministerin. Das Gesetz umfasst rund 40 Einzelmaßnahmen. Nur um einige davon zu nennen: Sehr kritisch wird gesehen, dass die gesetzliche Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von bislang 10 auf 28 Tage verlängert wurde. Außerdem dürfen Behördenvertreter*innen künftig in Gemeinschaftsunterkünften auch Nachbarräume als nur das Zimmer des Abzuschiebenden durchsuchen. Ausreisepflichtigen in Haft muss ihre Abschiebung nicht mehr angekündigt werden. Auch die aktuell geltende einmonatige Ankündigungspflicht für Abschiebungen nach einer einjährigen Duldung fällt weg. Zudem gibt es neue Ausweisungsgründe wie das Begehen von antisemitischen Straftaten oder die Einreise mit gefälschten Papieren. Bei Menschen ohne Ausweispapiere wird zudem das Auslesen von Handydaten erleichtert, um dadurch Identität und Herkunftsland zu klären. Der Zeitraum für den Bezug von Grundleistungen wird von 18 auf 36 Monate verdoppelt. Für Leistungsberechtigte, die die Wartezeit von 18 Monaten bereits erfüllen, ist Bestandsschutz vorgesehen. Positiv hervorzuheben ist, dass dadurch auch Ausländerbehörden entlastet werden sollen. Dafür wird unter anderem die Gültigkeitsdauer der Aufenthaltserlaubnis bei subsidiär Schutzberechtigten von einem auf drei Jahre verlängert. Außerdem gibt es Erleichterungen bei der Beschäftigungserlaubnis an Geduldete, Beschäftigungsduldung, Arbeitsverbote, Ausbildungsduldung, Vorbeschäftigungszeit und Mindestwochenarbeitszeit. Mehr dazu in einer Mitteilung des Deutschen Landkreistages hier.

2. EuGH: Beim Recht auf Familienzusammenführung ist der Zeitpunkt der Antragstellung entscheidend

Bereits am 12.04.2018 hatte der EuGH in einem Fall aus den Niederlanden entschieden, dass ein Unbegleiteter sein Recht auf Familienzusammenführung behält, auch wenn er während des Verfahrens volljährig wird (Az.: C-550/16). In einem neuen Fall aus Österreich hat der Gerichtshof seine Haltung in dieser Frage bestätigt. Am 31.01.2024 entschieden die Richter zugunsten eines anerkannten, in der Zwischenzeit volljährig gewordenen Geflüchteten aus Syrien, dass der Zeitpunkt der Asylantragstellung und nicht der der Behördenentscheidung für den Anspruch auf Familienzusammenführung relevant ist. Andernfalls könnten die Behörden absichtlich ihre Entscheidung hinauszögern. In diesem konkreten Fall ging der EuGH einen Schritt weiter und sprach auch der pflegebedürftigen Schwester des Antragstellers das Recht auf Familiennachzug zu ( C-560/20).

3. Dublin-Verfahren: In Belgien herrschen systematische Mängel

Am 09.02.2024 hat Rechtsanwalt Sommerfeld vor dem VG Arnsberg einen Beschluss erwirkt, der einem Afghanen Schutz vor Überstellung nach Belgien im Rahmen der Dublin-Verordnung ermöglicht. Demnach wird das Recht auf Unterbringung in Belgien alleinstehenden männlichen Asylantragstellern systematisch verwehrt. Männliche alleinstehende Antragsteller werden ausnahmsweise dann – nach mehreren Monaten Wartezeit – untergebracht, wenn sie ihr Recht auf Unterbringung erfolgreich einklagen. Der belgische Staat setzt diese Gerichtsurteile jedoch nicht oder nur schleppend um. Den Beschluss finden Sie hier.

Parallel dazu erhielten wir einen Hinweis aus Dänemark, der ebenfalls auf die Situation in Belgien eingeht. In der Mitteilung heißt es: „Dublin-Rücküberstellungen nach Belgien sind für alleinstehende Männer seit Anfang 2023 komplett ausgesetzt, nachdem die dänischen Behörden bei den belgischen Behörden eine Garantie hinsichtlich adäquater Unterbringungen von allen Dublin-Rückkehrern bei Rücküberstellung angefragt haben. Die belgischen Behörden haben daraufhin geantwortet, dass eine solche Garantie nicht für alleinstehende Männer gegeben werden kann“. Mehr

Interessierte können hier die Dublin-Liste abonnieren, um aktuell im Informationsfluss zu sein: https://anwalt-bender.de/dublin-liste/

4. Klinik bleibt auf Dolmetscherkosten für Flüchtlingsbehandlung sitzen

Krankenhäuser und Ärzte sind bei der Behandlung nicht deutschsprechender Flüchtlinge oft auf Dolmetscher angewiesen. Nach einem Urteil des Landessozialgericht Celle können sie aber selbst keine Erstattung der Dolmetscherkosten fordern. Allenfalls können betroffene Asylbewerber bei einem erforderlichen ärztlichen Aufklärungsgespräch selbst erst einmal einen behördlichen Antrag auf Kostenübernahme für einen Dolmetscher stellen (Urteil vom 26.09.2023, Az.: L 8 AY 24/21). Im vorliegenden Fall hatte das Krankenhaus bei der stationären Behandlung eines Kindes einen Dolmetscher mit der Übersetzung für die Eltern beauftragt und die Kosten mit dem Sozialhilfeträger abrechnen wollen. Dieser lehnte ab, weil weder sei das Krankenhaus als „Nothelfer“ tätig geworden, noch liege ein Eilfall vor. Nach Auffassung des LSG fehle es an einen Kostenerstattungsanspruch. Denn der Erbringer einer medizinischen Behandlung habe grundsätzlich keinen eigenen Anspruch auf Übernahme der mit der Behandlung einhergehenden Kosten. In vergleichbaren Fällen ist eine vorherige Einholung einer Kostenzusage durch Betroffene zu empfehlen.

5. Arbeitshilfe Dublin-Verordnung

Von Informationsverbund Asyl, Pro Asyl und Diakonie ist eine neue, sehr empfehlenswerte Arbeitshilfe mit dem Titel "Das Dublin-Verfahren – Grundlagen Verfahrensablauf und Praxistipps" erschienen. Die Dublin-Verordnung war schon immer problematisch und hat wenig bis kaum funktioniert. Dennoch ist es für den Beratungsalltag von zentraler Bedeutung. Immerhin wird darin geregelt, welcher Staat für die Durchführung des Asylverfahrens einer Person zuständig ist – mit teilweise sehr weitreichenden Konsequenzen für Betroffene ohne Rücksicht auf ihre individuellen und familiären Bedürfnisse. Interessierte finden in der Arbeitshilfe Informationen zu folgenden Themenbereichen: Grundlagen, Zuständigkeitsbestimmung nach der Dublin‑III‑Verordnung, Ablauf des Behördenverfahrens, der Dublin‑Bescheid, Überstellungsfrist, Interventionsmöglichkeiten, Überstellung, wenn Deutschland zuständig wird, besondere Fallgruppen, Aufenthaltspapiere und soziale Rechte und das Dublin‑Verfahren auf einen Blick (vereinfachte Darstellung). Mehr

6. Die Bezahlkarte für Asylsuchende kommt

Trotz massiver Kritik der Sozialverbände und weiterer NGOs hat die Politik die Einführung einer sogenannten Bezahlkarte für Asylsuchende beschlossen. Ab Sommer 2024 wollen die meisten Bundesländer eine guthabenbasierte Karte mit Debit-Funktion einführen, mit der die Asylsuchenden ihre alltäglichen Ausgaben bezahlen können. Während die technischen Voraussetzungen der Karte in allen Bundesländern einheitlich sein sollen, kann jedes Bundesland selbst über die Höhe des Barbetrags und über weitere Zusatzfunktionen entscheiden. Ein Hauptargument war die Bekämpfung der Schleusertätigkeit und die Verringerung von Überweisungen ins Ausland. Ob darüber das Ziel erreicht wird, dass Deutschland für immer weniger Asylsuchende attraktiv wirkt, ist zumindest fragwürdig und dürfte den Verwaltungsaufwand für die Kommunen erhöhen. So sollen in NRW die Kommunen nach Angaben der Landesregierung über die Einführung der Bezahlkarte entscheiden und die entstehenden Kosten dabei auch selbst tragen. Da das System nicht wartungsfrei ist und überwacht werden muss, dürfte der Spareffekt mehr als nur fraglich sein. Zudem ist zu fragen, inwiefern die Nutzung einer solchen Karte auch zur Diskriminierung beiträgt. Genauere Informationen dazu finden Sie in einem Beitrag des Migrationsdienst Integration hier.

7. Neue Gesetzesänderungen zum Arbeitsmarktzugang von Geflüchteten

Das Projekt „AZG – Arbeitsmarktzugang für Geflüchtete“ hat eine hilfreiche Übersicht von Gesetzesänderungen im Kontext des Arbeitsmarktzugangs für Geflüchtete herausgegeben. Sollten Sie eine frühere Version der Übersicht kennen, achten Sie bitte beim Thema "Spurwechsel" darauf, dass die Übersicht in puncto Rücknahme eines Asylantrages, um dann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18a, § 18b oder § 19c Abs. 2 AufenthG zu erhalten (bei Einreise vor dem 29.03.2023), eine Korrektur erfahren hat. Sollte man sich bereits im Klageverfahren befinden, ist der Asylantrag beim BAMF zurück zu nehmen und nicht die Klage beim Gericht! Mehr

8. EuGH: Geschlechtsspezifische Verfolgung als Anerkennungsgrund

Frauen, die durch häusliche Gewalt bedroht werden, haben deutlich höhere Chancen auf Anerkennung als Geflüchtete oder zumindest auf subsidiären Schutz. In einem Urteil vom 16.01.2024 hat der EuGH festgestellt, dass betroffene Frauen eine soziale Gruppe im Sinne der Flüchtlingsstatus-Richtlinie 2011/95 darstellen. Im konkreten Fall ging es um eine Kurdin aus der Türkei, die angab, von ihrer Familie zwangsverheiratet und von ihrem Mann geschlagen und bedroht worden zu sein. Im Falle einer Rückkehr fürchte sie sich um ihr Leben. Der EuGH hat ihr Schatzstatus in Bulgarien zugesprochen (Az. C-621/21). Mehr auf Asyl.net.

9. EuGH: Kriegsdienstverweigerer aus Syrien haben Anspruch auf Asylfolgeantrag

Pro Asyl weist auf ein Urteil des EuGH vom 08.02.2024 hin (C-216/22). Demnach hat Deutschland in vielen Fällen unrechtmäßig Antragstellern aus Syrien die Flüchtlingseigenschaft verweigert und ihnen nur den subsidiären Schutz zugesprochen – ein Status, der seit 2016 mit großen Einschränkungen beim Familiennachzug verbunden ist. Ob das Urteil zu einer starken Zunahme von neuen Asylfolgeanträgen durch Kriegsdienstverweigerer aus Syrien und anderen Ländern führen wird, wird sich in den nächsten Monaten in der Praxis zeigen. Nach Auffassung von Pro Asyl jedoch kann das Urteil in neuen Fällen herangezogen werden. Mehr in der Pressemitteilung.

10. Fakten zur Einwanderung in Deutschland

Der Sachverständigenrat für Integration und Migration hat Ende letzten Jahres seine Publikation „Fakten zur Einwanderung in Deutschland“ aktualisiert. Die wichtigsten Informationen und Zahlen zu Arbeitsmigration, Flucht und Asyl sowie zur Religionszugehörigkeit von Zuwanderern werden aufschlussreich zusammengestellt und sind ein hilfreicher Beitrag zur Versachlichung aktueller Debatten. Mehr

11. Studie: Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund neu entdecken

Ca. 25 Millionen Menschen in Deutschland haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB) hat im Februar 2024 eine neue Studie mit dem Titel „Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund neu entdecken“ veröffentlicht, die sich mit den Potentialen dieser Menschen befasst. Die Publikation vermittelt detaillierte Einblicke in die Sozialstruktur der Menschen mit Migrationshintergrund entlang von Alter und Geschlecht. Die verschiedenen Bevölkerungspyramiden zeigen grafisch anschaulich, wie sich diese Bevölkerungsgruppe in den letzten beiden Jahrzehnten verändert hat und wie sie sich von der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund unterscheidet. Nicht zuletzt im Lichte der demografischen Entwicklung in Deutschland und des vergleichsweise jüngeren Durchschnittsalters bei zugewanderten Menschen, rückt die Ausschöpfung ihrer Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt immer mehr in den Mittelpunkt. Hier mahnen die Autor*innen eine größere Förderung an. “Um die Erwerbsbeteiligung zu erhöhen, braucht es Maßnahmen etwa im Hinblick auf die frühkindliche Bildung, die Sprachförderung, und die Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Ein Grund für die niedrigere Erwerbsbeteiligung von Personen mit Migrationshintergrund ist der vergleichsweise hohe Anteil junger Erwachsener ohne Schul- und Berufsabschluss“, so ein Fazit der Studie (am Ende steht die Publikation als PDF zum Herunterladen zur Verfügung).

12. Stipendium für Frauen mit Migrations- und Fluchterfahrung

Das SABA Bildungsstipendium ist ein Programm der Crespo Foundation in Kooperation mit beramí berufliche Integration e.V. Es begleitet Frauen auf ihrem Weg zu einem qualifizierten Schulabschluss. Dafür vergibt es auch in 2024/25 bundesweit ein Digital-Stipendium an 10 Frauen zwischen 18 und 35 Jahren. Alle Angebote werden digital angeboten. Darüber hinaus gibt es 2-3 Treffen mit Übernachtung in Präsenz in Frankfurt. Die Förderung kann sich über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren erstrecken und umfasst die Kosten für die Schule, die Anfahrt und auch für die Kinderbetreuung am Wohnort. Bewerbungen sind bis Ende Mai 2024 möglich. Mehr

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Gut zu wissen ...

Immer wieder erreichen uns Fragen nach Rechtsprechung und Erlassen u.a. zu Dublin-Verfahren, Aufenthaltsrecht, Asylrecht, AsylbLG. Um Redundanzen zu vermeiden möchten wir an dieser Stelle auf die Entscheidungsdatenbank des Informationsverbundes Asyl & Migration verweisen. Interessierte können außerdem den Newsletter des Informationsverbundes abonnieren. An dessen Ende steht immer eine Übersicht zur aktuellen Rechtsprechung.

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Herausgeber: Ralf Nolte, Flüchtlingsbeauftragter

Redaktion: Hezni Barjosef, Koordination Flüchtlingshilfe im Erzbistum Paderborn,