Juli 2025

1. Zehn Jahre Fluchtmigration – Rückblick und Würdigung des Engagements

Der Sommer 2015 gilt als Wendepunkt in der deutschen und europäischen Migrationspolitik. Rund 890.000 Schutzsuchende kamen in diesem Jahr nach Deutschland – viele von ihnen flohen vor Krieg und Verfolgung aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Die Aufnahme dieser Menschen stellte Gesellschaft, Politik und Verwaltung vor immense Herausforderungen. Am 31. August 2015 sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Bundespressekonferenz den Satz: „Wir schaffen das“. Ein Satz, der zum Leitspruch einer Zeit wurde, in der Deutschland unter Hochdruck Unterkünfte organisierte, Sprachkurse aufbaute, Bildungsangebote erweiterte und Integrationsmaßnahmen entwickelte. Vieles davon wurde möglich durch das außergewöhnliche Engagement von Ehrenamtlichen, die sich in Gemeinden, Initiativen und Organisationen für die Aufnahme und Begleitung Geflüchteter einsetzten. Sie leisteten praktische Hilfe, spendeten Zeit und Zuwendung und trugen wesentlich dazu bei, dass viele Schutzsuchende in Deutschland Fuß fassen konnten.

Ein herausragendes Beispiel für institutionelle Unterstützung ist das Erzbistum Paderborn. Seit Beginn der Fluchtmigration wurden dort über 2.700 Projekte mit mehr als 6,9 Millionen Euro gefördert. Die Mittel stammen größtenteils aus dem Flüchtlingsfonds, der bereits 2014 aufgelegt wurde und gezielt ehrenamtliches Engagement unterstützt. Gefördert wurden unter anderem Sprachkurse, Willkommensfeste, psychologische Betreuung, Hausaufgabenhilfe und Integrationsangebote für Kinder und Jugendliche.

Auch heute – zehn Jahre später – ist das Engagement ungebrochen. Trotz veränderter politischer Rahmenbedingungen, wie Grenzkontrollen im Schengenraum oder der Aussetzung der Familienzusammenführung für subsidiär Schutzberechtigte, setzen sich viele Menschen weiterhin für Geflüchtete ein. Sie begleiten sie im Alltag, helfen bei Behördengängen, fördern Bildung und Teilhabe und stehen für eine solidarische Gesellschaft ein.

Der zehnte Jahrestag der Fluchtmigration ist Anlass zur Reflexion: Was wurde erreicht? Welche Herausforderungen bestehen weiterhin? Und wie kann das Engagement – sowohl staatlich als auch zivilgesellschaftlich – nachhaltig gestärkt werden?

2. Zum Umgang mit rechtsextremen Akteuren – Caritasvorstand lädt zum Gespräch ein

Die fünf Diözesan-Caritasverbände in NRW haben eine gemeinsame Orientierungshilfe herausgegeben: „Der Umgang mit (rechts-) extremen und (rechts-) populistischen Akteuren“. Diese soll Träger, Mitarbeitende und Ehrenamtliche im Umgang mit demokratiefeindlichen, menschenverachtenden, rechtspopulistischen oder -extremen Haltungen unterstützen und ihnen den Rücken stärken. Der Vorstand des DiCV Paderborn möchte im Rahmen einer Digitalveranstaltung die Orientierungshilfe kurz vorstellen und mit den Teilnehmenden ins Gespräch kommen. Termin: Donnerstag, der 07.08.2025, von 18:00 Uhr bis 19:30 Uhr. Um den Link zur Veranstaltung zu erhalten, ist eine Anmeldung bis zum 03.08.2025 unter erforderlich. Die Orientierungshilfe kann ab sofort hier eigesehen werden.

3. Handlungsempfehlungen bei Widerrufsverfahren

In der Juniausgabe unseres Newsletters hatten wir auf mögliche Widerrufsverfahren bei Menschen aus Syrien hingewiesen und einige Handlungsoptionen genannt. Nun hat der Deutsche Caritasverband ebenfalls erste Informationen für Beratende zur Verfügung gestellt, die wir im Wortlaut widergeben:

Das BAMF plant perspektivisch, bei den Widerrufsverfahren ähnlich vorzugehen, wie bei den Asylverfahren: zuerst Personen mit strafrechtlichen Verurteilungen, dann allein reisende Männer, zuletzt Personen mit einer Niederlassungserlaubnis. Wann und mit welcher zeitlichen Perspektive das angegangen werden soll, ist noch offen.

Empfehlungen für die Beratungspraxis:

  • Keine Panik: Das BAMF ist nicht aufgestellt, um zeitnah und in großer Zahl Widerrufsverfahren zu starten. Vermutlich werden erstmal nur in (sehr) geringer Zahl Widerrufe ergehen.
  • Wenn ein*e Syrer*in mit einem Widerrufsbescheid in die Beratung kommt, sollte dieser ebenfalls gerichtlich angegriffen werden. Auch hier gilt: Bitte beziehen Sie Ihren Rechtsberater/Ihre Rechtsberaterin ein, um die weiteren Schritte zu klären.
  • Generell empfehlen wir, um langfristig in Deutschland bleiben zu können, darauf hinzuarbeiteten parallel zu den humanitären Aufenthaltsgründen einen anderen Aufenthaltstitel zu beantragen. So kommt für volljährige und erwerbsfähige Syrer*innen v.A. eine zusätzliche Aufenthaltserlaubnis zur Erwerbstätigkeit in Betracht. Aber auch ein Aufenthaltstitel aus familiären Gründen kann eine langfristige Perspektive sein. Es ist möglich, mehrere Aufenthaltstitel parallel zu haben. In der Praxis lassen sich nicht alle Ausländerbehörden darauf ein.
  • Daneben sichert natürlich auch die Einbürgerung, unbefristet in Deutschland bleiben zu können.

4. Fachinformationen zur Abschaffung des Remonstrationsverfahrens

Zum 1.7.2025 hat das Auswärtige Amt das Remonstrationsverfahren nach einer ablehnenden Entscheidung im Visumsverfahren weltweit abgeschafft. Als Rechtsbehelf gibt es nunmehr nur noch das Klageverfahren beim VG Berlin. Das Referat Migration und Integration des DCV hat hilfreiche Fachinformationen sowie Vorlagen für eine Vollmacht und fristwahrende Klage zur Verfügung gestellt.

5. Abschiebestopp gefordert: Wohlfahrtsverbände NRW fordern humanitäre Lösung für Jesid*innen aus dem Irak

Die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW fordert einen sofortigen Abschiebestopp für Jesid*innen. Seit der Anerkennung des Völkermords durch den Bundestag 2023 bestehe eine moralische Verantwortung, Überlebende dauerhaft zu schützen. Die Lebensbedingungen in der Herkunftsregion Shingal im Irak seien weiterhin durch militärische Konflikte, Luftangriffe, zerstörte Infrastruktur und fehlende Versorgung geprägt. Rückkehr bedeute für viele Diskriminierung, Obdachlosigkeit oder Retraumatisierung.

Die Verbände fordern das zuständige Ministerium MKJFGFI auf:

  • Die Ausländerbehörden anzuweisen, von Abschiebungen abzusehen.
  • Eine Landesaufnahmeverordnung zu erlassen, die allen in NRW lebenden Jesid*innen ein gesichertes Bleiberecht gewährt – unabhängig von Geschlecht.
  • Das Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium für eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis herzustellen und Erwerbstätigkeit zu ermöglichen.

Die Landesregierung Schleswig-Holstein dient dabei als Beispiel für eine klare und solidarische Haltung. Mehr

6. Deutlicher Rückgang der Asylzahlen in Deutschland

Die Zahl der Asylanträge in Deutschland ist im ersten Halbjahr 2025 signifikant gesunken und erreicht ein historisches Tief. Laut aktuellen Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurden zwischen Januar und Juni insgesamt 72.818 Asylanträge gestellt, davon 61.336 Erstanträge und 11.482 Folgeanträge. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht dies einem Rückgang von rund 45 Prozent. Besonders auffällig ist der Juni 2025: Mit 6.860 Erstanträgen wurde der niedrigste Monatswert seit März 2013 verzeichnet. Auch im europäischen Vergleich zeigt sich ein Wandel: Deutschland liegt mit 65.495 Asylanträgen nur noch auf Platz drei hinter Spanien und Frankreich.

Die Herkunft der Antragsteller hat sich ebenfalls verschoben. Die meisten Schutzsuchenden kamen aus Afghanistan (22 %), Syrien (20 %) und der Türkei (11 %). Der Rückgang betrifft insbesondere syrische Antragsteller, was unter anderem auf die veränderte Lage nach dem Sturz von Machthaber Assad zurückgeführt wird.

Politisch wird der Rückgang unterschiedlich bewertet. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) sieht darin eine Bestätigung seiner restriktiven Migrationspolitik. Andere Stimmen verweisen auf saisonale Effekte, verstärkte Kooperationen mit Drittstaaten und EU-Grenzschutzmaßnahmen als Hauptursachen.

Auch auf EU-Ebene zeigt sich ein ähnlicher Trend: In den ersten sechs Monaten 2025 wurden 388.299 Asylanträge in der EU sowie Norwegen und der Schweiz gestellt – ein Rückgang von 23 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Zahlen markieren eine Zäsur in der europäischen Asylpolitik und werfen Fragen nach den langfristigen Auswirkungen auf Schutzsuchende und die internationale Verantwortung Europas auf. Langfristige Entwicklungen stellt der Mediendienst Information übersichtlich zur Verfügung. Mehr

7. Aus- und Weiterwanderung: Jahresbericht des Raphaelswerks erschienen

Mit dem Jahresbericht 2024 gewährt der Raphaelswerk e. V. einen umfassenden Blick auf seine Aufgaben und Aktivitäten im vergangenen Jahr. Als zentrale fachpolitische Interessenvertretung zu Fragen der Auswanderung, Rückkehr und Weiterwanderung arbeitet die Organisation seit Jahren daran, fachliche Standards zu entwickeln und in nationalen sowie internationalen Netzwerken umzusetzen.

Im Fokus steht die Qualität der Beratung: Ratsuchende sollen – unabhängig von Herkunft, Religion oder Geschlecht – genau die Unterstützung erhalten, die sie benötigen. Dazu gehört auch die Qualifizierung der Mitarbeitenden und die Durchführung von Fachveranstaltungen.

Als Arbeitsstelle der Deutschen Bischofskonferenz begleitet das Raphaelswerk Migrierende in allen Phasen ihrer Entscheidung – sowohl bei der Auswanderung als auch bei der Rückkehr. Inspiriert vom biblischen Tobias versteht sich die Organisation als Wegbegleiter in komplexen Lebenssituationen. Mehr

8. Kommunalwahl NRW 2025: Flucht & Integration als lokale Verantwortung

Am 14. September 2025 wählen die Bürger*innen in Nordrhein-Westfalen neue kommunale Gremien. Ein entscheidender Zeitpunkt – denn gerade jetzt braucht es eine klare Haltung zu den Themen Flucht und Integration, nicht nur auf Bundesebene, sondern auch direkt vor Ort.

Seit der Regierungsübernahme durch die schwarz-rote Koalition unter Bundeskanzler Friedrich Merz steht die bundespolitische Debatte unter dem Schlagwort der „Migrationswende“. Die Bundesregierung verfolgt dabei restriktive Ansätze: Rechtsverordnungen zu „sicheren Herkunftsstaaten“ und Zurückweisungen an den Grenzen sowie die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten – trotz juristischer Bedenken – zeigen , wie angespannt die Lage für Schutzsuchende aktuell ist.

Die bevorstehenden Kommunalwahlen können den flüchtlingspolitischen Kurs vor Ort direkt beeinflussen. Entscheidungsträger*innen wie Bürgermeister*innen, Stadträte, Kreistage oder Integrationsräte treffen Beschlüsse zu zentralen Bereichen wie:

  • der Unterbringung von Geflüchteten,
  • der Ausgestaltung sozialer Leistungen,
  • der Organisation und Arbeitsweise der Ausländerbehörden.

In diesen Feldern bestehen teils erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten, etwa durch bauliche Planung, Budgetentscheidungen oder Verwaltungsabläufe. Eine kritische Auseinandersetzung mit den jeweiligen Positionen der Kandidierenden kann dazu beitragen, integrationsfördernde Lösungen zu stärken und Problemfelder frühzeitig zu benennen.

Der Flüchtlingsrat NRW hat die jüngste Ausgabe seines Newsletters diesem Thema gewidmet und darin Wahlprüfsteine zur Verfügung, die der lokalen Situation angepasst werden können.

9. Reform des EU-Asylsystems: Nationale Umsetzung startet - weitreichende Auswirkungen in der Arbeit mit Geflüchteten zu erwarten

Die im Mai 2024 beschlossene Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) bringt tiefgreifende Veränderungen, darunter Grenzverfahren für Personen aus Ländern mit niedriger Anerkennungsquote, verpflichtendes Screening an den EU-Außengrenzen und die rechtlich umstrittene Fiktion der Nichteinreise. Die Bundesregierung unterstützt die Reform und plant bis Ende 2025 einen nationalen Umsetzungsplan. Ein BMI-Gesetzesentwurf vom 01.07.2025 sieht unter anderem Grenzprüfungen und direkte Abschiebungen vor. Einige Regelungen sollen bereits vor Inkrafttreten der EU-Vorgaben gelten.

Der Deutsche Caritasverband fordert in seiner Stellungnahme vom 08.07.2025 eine rechtsstaatliche und humane Umsetzung. Er spricht sich für gesetzliche Klarheit bei Pilotprojekten und Sekundärmigration, für freiwillige Ausreisen und gegen zusätzliche Leistungseinschränkungen aus.

Für Ehrenamtliche bedeutet GEAS eine neue Realität. Der Zugang zu Schutzsuchenden wird durch haftähnliche Grenzverfahren deutlich erschwert. Gleichzeitig steigt der Bedarf an rechtlicher Orientierung, psychosozialer Begleitung und niederschwelliger Unterstützung. Isolation, Traumatisierung und Ungewissheit dominieren den Alltag vieler Geflüchteter – ehrenamtliches Engagement wird damit zur Stütze gegen das soziale Abseits. Mehr denn je braucht es klare Positionierungen, kreative Formen der Teilhabe und politische Bildungsarbeit. Viele Initiativen reagieren bereits: mit Mahnwachen, Stellungnahmen und Netzwerken gegen die Entmenschlichung an Europas Grenzen. Ehrenamt bleibt Hoffnungsträger – aber auch Mahner in einer Zeit, die Menschlichkeit neu verhandelt. Mehr

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Gut zu wissen ...

Immer wieder erreichen uns Fragen nach Rechtsprechung und Erlassen u.a. zu Dublin-Verfahren, Aufenthaltsrecht, Asylrecht, AsylbLG. Um Redundanzen zu vermeiden möchten wir an dieser Stelle auf die Entscheidungsdatenbank des Informationsverbundes Asyl & Migration verweisen. Interessierte können außerdem den Newsletter des Informationsverbundes abonnieren. An dessen Ende steht immer eine Übersicht zur aktuellen Rechtsprechung.

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Herausgeber: Ralf Nolte, Flüchtlingsbeauftragter

Redaktion: Hezni Barjosef, Koordination Flüchtlingshilfe im Erzbistum Paderborn,