November 2022

1. Leistungskürzungen für Geflüchtete sind verfassungswidrig

Am 23.11.2022 hat das Bundesverfassungsgericht die Leistungskürzungen im AsylbLG für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht hatte zu entscheiden, ob die im §2 AslybLG verankerte Kürzung von Analogleistungen um 10% verfassungskonform ist. Betroffen waren Alleinstehende und Alleinerziehende in Sammelunterkünften. Sie sollten gegen ihren Willen mit anderen Menschen in der Unterkunft zusammen wirtschaften, damit der Staat Kosten sparen kann. Nun hat das BVerfG die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) für verfassungswidrig erklärt. Demnach erhalten alleinstehende Erwachsene, die in Sammelunterkünften wohnen und sich seit mindestens 18 Monaten in Deutschland aufhalten, vollständige Regelleistungen. Doch auch wer noch keine 18 Monate in Deutschland lebt (§§3, 3a AsylbLG) hat durchaus Chancen höhere Leistungen zu erhalten. Experten raten zu Überprüfungsanträgen. Eine von vielen Hilfen ist der Newsletter von Rechtsanwalt Volker Gerloff, Berlin.

2. Keine kommunale Wohnsitzauflage für Geflüchtete aus der Ukraine

Claudius Voigt, GGUA, weist auf eine weitere Erleichterung für Menschen aus der Ukraine, die bislang nicht immer und überall Anwendung findet: Geflüchtete aus der Ukraine, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG erteilt wird, erhalten bis auf weiteres in NRW keine kommunale Wohnsitzauflage nach § 12a Abs. 3 AufenthG mehr. Das hat das MKJFGFI in einem Erlass vom 30. August 2022 mitgeteilt. (Auf S. 2 des Erlasses wird zwar als Rechtsgrundlage „§ 12 Abs. 3“ genannt, gemeint sein kann aber nur § 12a Abs. 3; vermutlich ein Tippfehler). In der Folge können sie innerhalb von NRW ohne Zustimmung der Bezirksregierung Arnsberg oder der Ausländerbehörde umziehen und auch Leistungen beziehen. Für den Umzug in ein anderes Bundesland ist jedoch weiterhin eine Streichung oder Änderung der Wohnsitzauflage gem. § 12a Abs. 5 AufenthG erforderlich, die bei der Bezirksregierung Arnsberg beantragt werden muss. Wer vor Veröffentlichung des Erlasses schon eine kommunale Wohnsitzauflage erhalten hat, sollte diese mit Verweis auf den Erlass von der Bezirksregierung Arnsberg streichen lassen

3. Ausschreibung: Geflüchtete Mütter stärken

Die Robert-Bosch-Stiftung fördert mit dem Projekt „Geflüchtete Mütter stärken“ Kooperationen zwischen Organisationen der migrantischen Zivilgesellschaft und Bildungseinrichtungen. Gesucht werden Projektideen zur Selbstbefähigung und Teilhabe geflüchteter Mütter am beruflichen und sozialen Leben. Die Frauen sollen aktiv in Konzeption und Durchführung der Projekte eingebunden sein. Inhaltlich gibt es keine Einschränkung der Handlungsfelder: Gefördert werden Qualifizierungsmaßnahmen, Personal, Honorare und Sachkosten, aber keine Baumaßnahmen und große Investitionen. Bewerbungen sind bis zum 13. Januar 2023 möglich. Mehr

4. Recherche nach Dublin-Entscheidungen

Ein erheblicher Teil von Entscheidungen im Bereich des Flüchtlingsrechts betrifft die sogenannten Dublin‑Verfahren – also Verfahren, in denen es vor allem darum geht, welches europäische Land für das Asylverfahren einer schutzsuchenden Person zuständig ist. In diesem Zusammenhang sind auch Verfahren von Bedeutung, bei denen es darum geht, ob eine Person auf der Grundlage der sogenannten Drittstaatenregelung in ein anderes Aufnahmeland zurückkehren muss (z.B. weil die Person dort einen Schutzstatus erhalten hat oder weil das Land aufgrund anderer europäischer Regelungen für die Aufnahme der Person zuständig ist). In einer Entscheidungsdatenbank des Informationsverbund Asyl & Migration finden Interessierte eine umfangreiche Übersicht der meisten für die Beratung zu den vorgenannten Rechtsbereichen relevanten Entscheidungen.

5. AMIF-Projekte zugunsten von Menschen aus der Ukraine

Der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU (AMIF) unterstützt die EU-Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung ihrer Asyl- und Migrationspolitik. Aus nachvollziehbaren Gründen spielt die Ukraine auch hier eine besondere Rolle. Ein Förderatlas des BAMF klärt darüber auf, welche Projektmaßnahmen der AMIF 2021-2027 auf Basis des Nationalen Programms für Deutschland fördern kann. Der Projektatlas berücksichtigt sowohl Maßnahmen für Menschen aus der Ukraine, die einen Asylantrag stellen, als auch für Personen mit einem Status nach §24 AufenthG.

6. Afghanistan: Bundesaufnahmeprogramm und Familiennachzug

Am 17.10.22 hat das Auswärtige Amt über das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (BAP AFG) informiert. Sechs Wochen danach ist noch nicht spürbar etwas geschehen. Die Webseite enthält leider nach wie vor nur allgemeine Informationen. Wie alle Geflüchtetenorganisationen kritisieren, fehlt es an Transparenz. Wünschenswert wäre zumindest zu erfahren, wo man die nächste „meldeberechtigte Stelle“ finden kann. Der Webseite ist zu entnehmen, für wen das Aufnahmeprogramm nicht in Frage kommt: Ortskräfte und Familienangehörige, die im Rahmen des Familiennachzugs einen Anspruch auf Einreise hätten. Positiv betrachtet sollen sie die vorgesehenen 1.000 Plätze pro Monat nicht aufbrauchen. Trotzdem tauchen in der Praxis immer wieder Fragen auf, wo und wie Familienangehörige, die teilweise seit Jahren auf ein Visum warten, nun für das BAP AFG registriert werden können.

Weder die Machtergreifung durch die Taliban noch der im Koalitionsvertrag angekündigte Paradigmenwechsel haben zu einer Verbesserung in der Praxis des Familiennachzugs aus Afghanistan geführt. Das Onlineportal MiGAZIN hat ein Jahr nach dem Ampel-Koalitionsvertrag den Ist-Zustand beim Familiennachzug gut beschrieben, darunter auch aus Afghanistan. Um es nicht nur bei Kritik zu belassen, möchten wir interessierten Betroffenen und Unterstützenden einen Artikel aus dem Asylmagazin 9/2022 als Hilfestellung empfehlen. Der Artikel ist insbesondere im Hinblick auf den Familiennachzug von Afghan*innen zu Angehörigen mit internationalem Schutzstatus und den daraus für die Beratungspraxis entstehenden Beratungsansätzen interessant. Mehr

7. Fakten zu Flucht und Asyl

Der Sachverständigenrat für Integration und Migration hat seine Publikation „Fakten zu Flucht und Asyl“ aktualisiert. Darin finden Sie die wichtigsten Informationen und Zahlen, u. a. zu Asylanträgen, Herkunftsländern, Schutzquoten und Aufenthaltsbeendigung. Ein gesonderter Abschnitt informiert über die aktuelle Fluchtzuwanderung aus der Ukraine. Das Faktenpapier erklärt auch die Regeln für Asylverfahren sowie den Zugang zu Bildung und Arbeit für Flüchtlinge in Deutschland. Darüber hinaus fasst es aktuelle Statistiken zu Flucht und Asyl weltweit sowie in der Europäischen Union zusammen. Das „Kurz und bündig“ können Sie hier abrufen.

8. Asylstatistik: Zahl neuer Erstanträge deutlich gestiegen

In 2021 gab es insgesamt 190.816 Asylanträge, davon 148.233 Erstanträge. Zwischen Januar und Oktober 2022 wurden 181.612 Asylanträge gestellt, davon 159.669 Erstanträge. Das sind etwa 21 Prozent mehr Anträge als im gleichen Zeitraum 2021. Die Zahl der Erstanträge ist um 38,9 Prozent gestiegen. Mehr. Darin werden ukrainische Geflüchtete nicht berücksichtigt. Zwischen Ende Februar und dem 29. Oktober 2022 wurden dem Bundesinnenministerium zufolge 1.018.638 Geflüchtete aus der Ukraine im Ausländerzentralregister (AZR) registriert.

9. Datenbank zu Fördermöglichkeiten und Fundraising

Die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) bietet Workshops zu Fördermöglichkeiten für Vereine und gemeinnützige Organisationen an. Adressatenkreis sind in erster Linie kleinere Initiativen und weniger professionell aufgestellte Organisationen. Gerade für niederschwellige Angebote kann ein solcher Workshop hilfreich sein – insbesondere auch diese Fördermitteldatenbank

10. Zwangsverheiratung

Terres des Femmes hat eine Elternbroschüre im Zusammenhang mit der Zwangsverheiratung herausgegeben. Diese richtet sich mit einer sensiblen und leichten Sprache an Eltern und thematisiert die Folgen von Früh- und Zwangsverheiratung, die Gesetzeslage und die Möglichkeiten, sich Hilfe zu holen. Außerdem macht die Broschüre darauf aufmerksam, dass keine Religion eine Zwangsverheiratung rechtfertigt. Mehr

11. Flyer: Schütze Dich vor Menschenhandel!

Um die in Deutschland ankommenden Frauen, Kinder und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch, Prostitution und Ausbeutung durch Menschenhändler zu warnen und ihnen Informationen zum eigenen Schutz zu geben, haben Terre de femmes und der Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland bereits im März einen Flyer in den Sprachen Deutsch, Ukrainisch und Russisch herausgegeben. Der Flyer gibt wichtige Sicherheitshinweise zum eigenen Schutz vor Zuhältern und Menschenhändlern im Fall von verdächtigen Angeboten z.B. bei der Ankunft, bei Mitfahrgelegenheiten und Unterkünften. Die Telefonnummern der Polizei und des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ sind im Flyer angegeben, sodass im Notfall schnell Hilfe erreichbar ist. Mehr

12. Arbeitshilfe: Unterstützung geflüchteter Frauen

Rund 50 Prozent aller geflüchteten Menschen weltweit sind Frauen und Mädchen. Viele von ihnen müssen ihre Herkunftsländer aufgrund von geschlechtsspezifischer Verfolgung verlassen. Sowohl auf der Flucht als auch bei der Ankunft in Deutschland stehen Frauen häufig vor ganz besonderen Herausforderungen. Eine ausführliche Online-Arbeitshilfe des Flüchtlingsrates BW will ehrenamtlichen Unterstützer*innen von geflüchteten Frauen eine Orientierung zu relevanten Aspekten des Asyl-, Aufenthalts- und Sozialrechts bieten. An einigen Stellen wird zunächst auf allgemeine Informationen, die unabhängig vom Geschlecht der geflüchteten Person gelten, eingegangen. Somit kann diese Arbeitshilfe auch für ehrenamtlich Engagierte, die nicht ausschließlich Frauen unterstützen, interessant sein. An einigen Stellen wird auf vertiefende Arbeitshilfen zum jeweiligen Thema verwiesen. Neben den rechtlichen Informationen enthält die Arbeitshilfe auch einige Impulse zu Fragestellungen, die Handeln und Haltung im ehrenamtlichen Engagement betreffen. Mehr

13. Studie: Erfahrungen mit privat untergebrachten Geflüchteten

Viele Privatpersonen haben in den letzten Monaten Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen. In Zusammenarbeit mit der Plattform #UnterkunftUkraine hat DeZIM – Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung – über 3.000 Unterbringende zu ihren Erfahrungen und Unterstützungsbedarfen befragt. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse:

58% der Befragten haben sich zum ersten Mal für Geflüchtete engagiert. Wir sehen in dem Bereich der privaten Unterbringung also eine starke Neuaktivierung. Private Unterbringung hat das Potential, sich als neue Form des Engagements zu etablieren, auch, weil eine überwältigende Mehrheit von 82% der Befragten sagt, dass sie positive Erfahrungen damit gemacht haben. 80% würden erneut Geflüchtete aufnehmen – darunter auch Personen, die weniger positive Erfahrungen gemacht haben.

In den Umfrageergebnissen deutet sich allerdings auch an, dass die Unterbringenden und die Geflüchteten mehr Unterstützung brauchen: Zahlreiche Befragte sagen zum Beispiel, dass sie mit frustrierenden bürokratischen Hürden konfrontiert sind. Viele wünschen sich Hilfestellungen etwa im administrativen Bereich, durch Checklisten für eine erfolgreiche Aufnahme oder auch bei der künftigen Wohnungssuche. Die Ergebnisse finden Sie hier in drei Sprachen.

14. Übersetzungen zur Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)

Vor einem Jahr hatte ÄZQ (Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin) eine hilfreiche Kurzinformation zu PTBS herausgegeben. Sie erläutert die Ursachen und typische Anzeichen einer PTBS. Außerdem erfahren Interessierte, welche Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten Fachleute aufgrund aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse bei einer PTBS empfehlen. Nun gibt es die Kurzinformation auch in den Sprachen Arabisch, Englisch, Französisch Russisch, Spanisch und Türkisch. Mehr

15. Einmalige Energiepreispauschale für Studierende

Laut einem Gesetzentwurf der Ampelkoalition sollen Studierende sowie Fachschüler*innen wegen der stark gestiegenen Lebenshaltungskosten und Energiepreise eine einmalige Energiepreispauschale in Höhe von 200 Euro erhalten. Die Energiepreispauschale erhalten könne, wer am 01.12.2022 an einer in Deutschland gelegenen Ausbildungsstätte immatrikuliert sei. Somit umfasse der Gesetzentwurf auch ausländische Studierende, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. Ausgenommen von der Einmalzahlung seien allerdings Gaststudierende. Die Beantragung der Einmalzahlung soll über eine digitale Plattform erfolgen, die Bund und Länder noch erarbeiten müssen. Wann genau die Pauschale ausgezahlt werden wird, ist im Entwurf nicht konkret genannt.

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Herausgeber: Josef Lüttig, Flüchtlingsbeauftragter

Redaktion: Hezni Barjosef, Koordination Flüchtlingshilfe im Erzbistum Paderborn, ;