November 2019

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Fürsorge für Asyl- und Schutzsuchende – auch mit Blick auf die Verantwortung für das gesamtgesellschaftliche Wohl - ist Teil unserer christlichen Identität. Enttäuschend sind deshalb die Entwicklungen beim Nachzug von Familienangehörigen zu subsidiär Schutzberechtigten. Angesichts von gut 11.000 bislang erteilten Visa und nicht einmal mehr 21.000 Angehörigen, die sich für einen Termin zur Visavergabe registriert haben, ergibt sich daraus eine Zahl von insgesamt etwa 30.000 Angehörigen von subsidiär Schutzberechtigten, die im Wege des Familiennachzugs nach Deutschland kommen könnten. Im Koalitionsvertrag waren die Koalitionsparteien noch ohne Beleg von 300.000 Personen ausgegangen. Mehr erfahren Sie im Newsletter. Es ist zu bedauern, dass minderjährigen Kindern von Asylsuchenden wahrscheinlich erst durch rechtliche Schritte der Zugang zum Schul- und Bildungssystem in NRW nach drei Monaten ermöglicht werden wird. Aufnahmeeinrichtungen sind keine kindgerechten Orte und ein geplanter sechsmonatiger Aufenthalt ist unter diesen Bedingungen aus Kindeswohlaspekten keine Option. Auch hier erfahren Sie mehr im Newsletter.

Wir setzen unser caritatives Engagement für die vielen Menschen, die an die Ränder unserer Gesellschaft gedrängt werden, unvermindert fort.Das Engagement jedes und jeder Einzelnen ist wichtig und wertvoll.

Es grüßt Sie herzlich

 

Domkapitular Dr. Thomas Witt
Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen im Erzbistum Paderborn und Vorsitzender des Caritasverbandes für das Erzbistum Paderborn e.V.

 

1.     Mehr Tote an Land als im Mittelmeer

Meldungen von im Mittelmeer ertrunkenen afrikanischen Migranten sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Doch noch viel gefährlicher als die Überfahrt auf dem Mittelmeer ist nach Einschätzung des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) der beschwerliche Weg zur Küste. „Wir gehen davon aus, dass vermutlich mindestens doppelt so viele Menschen auf dem Weg zum Mittelmeer sterben als im Mittelmeer selbst", sagte Vincent Cochetel, der Sondergesandte des UNHCR für das Mittelmeer und Libyen der "Welt am Sonntag" am 03.11.2019. Die Zahl könne aber "auch viel höher" sein. Auf eine hohe Dunkelziffer weist dem Bericht zufolge auch die Internationale Organisation für Migration (IOM) hin. Die vorhandenen Daten zu verstorbenen Migranten seien daher nicht belastbar. Die IOM habe von 2014 bis Ende Oktober 2019 insgesamt 19.005 Todesopfer im Mittelmeer sowie 4463 weitere in Nordafrika registriert. Zu den Todesfällen im Mittelmeer gebe es allerdings mehr und bessere Quellen, weswegen die Angaben für diesen Teil der Fluchtroute der Wirklichkeit näher kommen dürften als im Falle Nordafrikas. Haupttodesursachen auf den Landrouten waren laut IOM nach den vorliegenden Zahlen für 2018 Verkehrsunglücke, gefolgt von Verdursten, Gewalttaten, Verhungern und Krankheiten.

2.     Rechtsgutachten zum Recht auf Bildung und Zugang zur Regelschule

Das Recht und die Pflicht zur Schule zu gehen, ist für Kinder und Jugendliche in Deutschland gesetzlich festgeschrieben und in der Regel alltägliche Normalität. Für die vielen minderjährigen Kinder von Asyl- und Schutzsuchenden gilt Schule als „Integrationsmotor“. In NRW und anderen Bundesländern allerdings gilt die rechtliche Einschränkung, dass die Schulpflicht erst dann greift, wenn nach Ankunft und Einleitung des Asylverfahrens eine Zuweisung der Familien an die Kommunen erfolgt ist. Ein kürzlich veröffentlichtes Rechtsgutachten "Das Recht auf Bildung und Zugang zur Regelschule für geflüchtete Kinder und Jugendliche in Aufnahmeeinrichtungen der Bundesländer" im Auftrag des Paritätischen Gesamtverbandes kommt zu der Erkenntnis , dass die Bundesrepublik und ihre Länder nach den Vorgaben des Völker-, EU- und Verfassungsrechts verpflichtet sind, für minderjährige Kinder von Asylsuchenden den Zugang zum Schul- und Bildungssystem spätestens drei Monate nach Äußerung des Asylbegehrens entsprechend dem Grundsatz der Inländergleichbehandlung effektiv sicherzustellen. Aus Sicht des Paritätischen Gesamtverbandes heißt das, dass für Familien mit minderjährigen Kindern, falls in der Aufnahmeeinrichtung keine der Regelschule vergleichbare Beschulung stattfindet, nach drei Monaten ein gesetzlicher Anspruch auf kommunale Umverteilung besteht, um den Zugang zur Regelschule sicherzustellen. Im Kapitel Rechtsschutz“ im Gutachten gibt es Hinweise, wie der Anspruch auf Schulpflicht in einer Regelschule mit verschiedenen rechtlichen Möglichkeiten umgesetzt werden kann. Gleiches gilt für die Durchsetzung des Anspruchs auf landesinterne Verteilung und Zuweisung zu einem Landkreis/einer Kommune.

3.     Familiennachzug

Eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion vom 01.11.2019 zeigt, dass seit August, und zuvor schon im Juni, nicht einmal mehr 1.000 Visa für den Familiennachzug pro Monat erteilt wurden, zuletzt waren es sogar weniger als 800 im Monat. In den Visastellen werden zu wenige Anträge (nur knapp über 1.000 im Monat) entgegengenommen. Dabei könnten mindestens doppelt so viele Anträge bearbeitet werden, wie Vergleichszahlen aus den Jahren 2016/17 zeigen. Die Bundesregierung machte deutlich, dass es eine Übertragung der im Jahr 2018 nicht genutzten Plätze nicht geben wird. Die versprochene verstärkte Erteilung von Visa nach §22 AufenthG (als Kompensation zur Kontingentierung) findet ebenfalls nicht statt. Die Erteilung solcher Visa wurde faktisch eingestellt, in den letzten zwölf Monaten waren es nur drei solcher Visa. Eigentlich sollte das Bundesverwaltungsamt unter den Nachzugsfällen, die überwiegend schon seit Jahren auf den Familiennachzug warten, die humanitär besonders dringlichen Fälle (lange Trennungszeiten, Erkrankungen und Gefährdungen, Familien mit Kindern usw.) heraussuchen und für eine priorisierte und schnelle Visumserteilung sorgen. Die Anträge werden offensichtlich nach Antragseingang abgearbeitet. Die Süddeutsche Zeitung berichtete.

4.      Änderung des AsylbLG - Zehnprozentige Leistungskürzung

Am 1. September 2019 ist eine Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) in Kraft getreten, nach der alleinstehende Erwachsene, die nicht in einer Wohnung, sondern in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht sind (sowohl Landesaufnahmeeinrichtung als auch kommunale Gemeinschaftsunterkunft) nur noch Leistungen nach Regelbedarfsstufe 2 erhalten, statt nach Regelbedarfsstufe 1. Dies bedeutet für die Betroffenen eine zehnprozentige Leistungskürzung. Diese gilt sowohl für Grundleistungsbeziehende nach § 3 AsylbLG (310 € statt 344 € bei vollständiger Barauszahlung), als auch für Analogleistungsbeziehende nach § 2 AsylbLG (382 € statt 424 €). Das Sozialgericht Landshut hat in einem Eilbeschluss die zehnprozentige Leistungskürzung für eine alleinstehende AsylbLG-Beziehende in einer Gemeinschaftsunterkunft vorläufig untersagt, da es diese neue Regelung als verfassungswidrig einschätzt. Es ordnete daher die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen die Einstufung in Regelbedarfsstufe 2 an und verpflichtete das Sozialamt, vorläufig weiterhin Leistungen nach Regelbedarfsstufe 1 zu bewilligen. Hinweis: In allen Fällen, in denen alleinstehende erwachsene Leistungsberechtigte, die in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnen, in Regelbedarfsstufe 2 eingestuft werden, sollte ein Widerspruch beim Sozialamt bzw. der zuständigen Sozialbehörde eingelegt werden. Zusätzlich sollte ein Eilantrag beim Sozialgericht gestellt werden, da der Widerspruch an sich keine aufschiebende Wirkung hat. Falls auch der Widerspruch anschließend abgelehnt wird, sollte eine Klage gegen den Widerspruchsbescheid eingelegt werden. Weitere aktuelle Infos zu diesen und anderen Streitfragen im AsylbLG finden sich in einer Broschüre des Paritätischen Gesamtverbandes zum AsylbLG.

5.     Die Kosten der Flüchtlings(-aufnahme)krise

Seit August 2015 haben über eine Million Asyl- und Schutzsuchende in Deutschland Zuflucht gefunden. Was ist seitdem geschehen und welche Kosten sind entstanden? Welche Staaten sind eigentlich betroffen und welche Kosten sind durch die Flüchtlings(-aufnahme)krise entstanden? Wie viele Menschen sind seit 2015 wirklich nach Deutschland gekommen? Wie steht es um ihre Integration, die Beschäftigungsquote und die Sprachkenntnisse? Die wichtigsten Zahlen und Fakten finden sich in einem Artikel im Handelsblatt vom 29.10.2019.

6.     Ansprechpartner für „heimatlose“ Pässe

Pässe, die in der Vergangenheit vom BAMF einbehalten worden sind und seitdem nicht mehr zugeordnet werden können, könnten sich beim Bundesverwaltungsamt befinden. Unter Angabe des vollständigen Namens, des Geburtsdatums und des Herkunftslandes kann angefragt werden, ob der Pass dem Bundesverwaltungsamt vorliegt. Ansprechpartner ist Herr Grüne, Telefon: 0228 993588242, Mail: Funddokumente@bva.bund.de.

7.      Quartalsbericht „Sachstand staatliches Asylsystem“ NRW

Mit Bericht vom 03.09.19 informierte NRW Minister Dr. Stamp über den „Sachstand staatliches Asylsystem“. In den ersten beiden Quartalen 2019 kamen monatlich durchschnittlich 1.700 asylsuchende Erstantragsteller und Erstantragstellerinnen in nordrhein-westfälischen Einrichtungen an und wurden innerhalb von NRW weitergeleitet. Die Hauptherkunftsländer in diesem Zeitraum waren Syrien mit 19,1%, der Irak mit 10,4% und die Türkei mit 9,9% der Asylsuchenden. 14.800 offene Verfahren waren Ende Juni in NRW registriert. In NRW betrug die Gesamtschutzquote im ersten Halbjahr 41% (bundesweit 37%). Insgesamt wurden im zweiten Quartal 2019 den Gemeinden in NRW 5.780 Asylsuchende gegenüber 6.669 im ersten Quartal 2019 zugewiesen. In der ersten Jahreshälfte wurden in NRW insgesamt 1.961 Anträge zur Förderung einer „freiwilligen Rückkehr“ bewilligt. Mit etwa 28,9% der bundesweiten Bewilligungen erfolgten bundesweit die meisten freiwilligen Ausreisen aus NRW. Laut Bundespolizei-Statistik wurden im ersten Halbjahr, einschließlich Dublin-Überstellungen, 3.493 Rückführungen aus NRW, und damit circa 30,4% der bundesweiten Abschiebungen und Rücküberstellungen, durchgeführt. Hauptzielland war mit 8,8% Albanien. In NRW leben derzeit 72.370 als ausreisepflichtig registrierte Personen; davon 57.929 Schutzsuchende mit einer Duldung.

8.     Widerrufsverfahren: Schutzstatus fast immer zu Recht erteilt

Laut Antwort der Bundesregierung vom 12.09.19 auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hat das Bundesamt für Migration und ausländische Flüchtlinge (BAMF) im ersten Halbjahr 2019 im Widerrufsverfahren mehr als 62.000 positiv erteilte Asylbescheide geprüft. In über 97 % der Fälle wurde der Schutzstatus bestätigt. Auch bei Prüfungen von Schutzstatus, die im schriftlichen Verfahren erteilt worden waren, wurde der Schutzstatus in 98 % der Fälle verifiziert. Wie die Süddeutsche Zeitung am 19.09.19 berichtete, hätten insbesondere diese Fragebogenverfahren in der Kritik gestanden, für Fehler und Täuschungen anfällig zu sein. Bei der gesonderten Prüfung von gut 32.000 Dokumenten wurden lediglich 267, und damit 0,8 %, der Dokumente, als ge- oder verfälscht beanstandet. Die Überprüfung positiv erteilter Asylbescheide nimmt aktuell viele Ressourcen im BAMF in Anspruch. Laut Süddeutscher Zeitung sollen derzeit gut 720 Mitarbeiterinnen ausschließlich mit der Bearbeitung von Widerrufsprüfungen beschäftigt sein.

9.     Arbeitshilfe: Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung für Geduldete

Durch die gesetzlichen Regelungen im „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ wurde die Bedeutung der Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung und Identitätsklärung für Geduldete ausgeweitet. In der Beratung von Geduldeten kommt dem Nachweis der Mitwirkungshandlungen daher eine besondere Bedeutung zu. Es gibt eine Arbeitshilfe des Thüringer Netzwerk „BLEIBdran“ für geduldete Personen und für den Einsatz in der Beratung mit weiteren Materialien zu der Thematik.

10.     Factsheet zu Integrationskursen

Integrationskurse, die Einwanderern neben Deutschkenntnissen auch Informationen zum deutschen Rechtssystem und zur Geschichte vermitteln, stehen häufig in der Kritik, weil immer weniger Teilnehmende den höchsten Abschluss schaffen und weil die Qualität der Kurse nicht ausreichend sei. Der MEDIENDIENST gibt in einem Factsheet einen Überblick, welche Kurse angeboten werden, wer teilnehmen darf, wie viele Personen die Kurse erfolgreich zu Ende bringen und welche Verbesserungen Fachleute vorschlagen. Seit Einführung der Kurse 2005 haben über 2,1 Millionen Personen einen Kurs begonnen. Da 2015 viele Asyl- und Schutzsuchende gekommen sind, ist auch die Zahl der Teilnehmenden stark gestiegen. Laut einem Forschungsbericht des Bundesamt für Migration und ausländische Flüchtlinge (BAMF) sind unter ihnen viele Personen mit niedrigem Bildungsniveau. Häufig müssen sie zunächst die lateinische Schrift lernen. Zudem lernen sie oft unter erschwerten Bedingungen wie einer unsicheren Aufenthaltsperspektive. Nach Angaben von Fachleuten ist eine weitere Herausforderung, dass Personen aus unterschiedlichen Ländern und mit verschiedenem Bildungsstand in den Kursen zusammen lernen. In den vergangenen Jahren sind die Kurse heterogener geworden und die Kurse sind nicht ausreichend daran angepasst worden. Die Integrationskurse haben ein weitgehend einheitliches Konzept und schließen mit einheitlichen Tests ab. Die Kursträger haben dadurch wenig Spielraum, die Kurse auszugestalten. Gerade im ländlichen Raum können Kursträger die Vorgaben des BAMF – wie bei der Mindestteilnehmerzahl – oft nicht erfüllen. Die Folge: spezielle Kurse kommen nicht zustande und Menschen mit sehr unterschiedlichem Kenntnisstand und Lerntempo werden zusammen unterrichtet. Zudem seien die Kurse für viele Teilnehmende zu kurz, um die Sprache zu lernen und die Kenntnisse zu verfestigen.

11. MEDIENDIENST INTEGRATION  „Handbuch Islam und Muslime“

Der MEDIENDIENST INTEGRATION hat ein neues „Handbuch Islam und Muslime“ veröffentlicht mit Zahlen und Fakten zur muslimischen Bevölkerung in der Welt und in Europa sowie Prognosen, wie sich diese in Zukunft entwickeln könnte. Es erläutert Grundzüge des islamischen Glaubens, bietet eine Übersicht über die wichtigsten Glaubensrichtungen sowie eine kurze Einführung in die Geschichte des Islams in Europa. Anschauliche Karten und Grafiken helfen, die Informationen einzuordnen. Darüber hinaus gibt es eine Neuauflage des „Journalisten-Handbuch zum Thema Islam“ des MEDIENDIENST aus dem Jahr 2016. Journalistinnen und Journalisten will der Mediendienst Integration damit praktische Informationen an die Hand geben, um eine differenzierte Berichterstattung zu unterstützen. Es enthält Beiträge zu den Themen „Ehe und Familie“ und „Homosexualität“, „Islam und Reform“, „Was ist die Scharia?“ sowie zu „Islam und Menschenrechte aus theologischer Sicht“ und zum „Handlungsfeld Kommune“.

 

Herausgeber: Domkapitular Dr. Thomas Witt
Redaktion:
, Koordination Flüchtlingshilfe im Erzbistum Paderborn,
                     , Caritasverband für das Erzbistum Paderborn e.V.