September 2025
1. EU-Asylstatistik im Wandel: Deutschland nicht mehr Spitzenreiter
Die aktuellen Zahlen der EU-Asylagentur (EUAA) zeigen eine deutliche Veränderung im Asylgeschehen Europas: Erstmals seit über einem Jahrzehnt stellen syrische Schutzsuchende nicht mehr die größte Gruppe. Mit rund 23.300 Erstanträgen liegen sie nun hinter Venezuela (48.100) und Afghanistan (33.000) auf Platz drei. Dieser Rückgang spiegelt sich auch bei den Aufnahmeländern wider: Deutschland fällt hinter Frankreich und Spanien auf Rang drei zurück.
Insgesamt wurden im ersten Halbjahr 2025 etwa 399.000 Asylanträge in der EU, Norwegen und der Schweiz gestellt – ein Rückgang um 23 % im Vergleich zum Vorjahr. Geflüchtete aus der Ukraine sind in dieser Statistik nicht enthalten, da sie unter dem Status des „vorübergehenden Schutzes“ registriert werden. Die meisten Asylanträge gingen in Frankreich (77.800), Spanien (77.400) und Deutschland (70.300) ein. In Frankreich ist der Anstieg unter anderem auf ukrainische Geflüchtete zurückzuführen, die dort eine langfristige Perspektive suchen.
Die durchschnittliche Schutzquote in der EU liegt bei 25 %. Besonders hoch ist sie bei afghanischen Antragsteller*innen (56 %), während sie bei Personen aus Venezuela (2 %) und Bangladesch (3 %) deutlich niedriger ausfällt. Ende Juni 2025 waren rund 917.600 Asylanträge noch nicht entschieden (überwiegend Altfälle).
2. Aktuelle rechtliche Entwicklungen für Geflüchtete aus der Ukraine
Der EU-Rat hat mit Beschluss (EU) 2025/1460 den vorübergehenden Schutz für Geflüchtete aus der Ukraine bis zum 4. März 2027 verlängert. In Folge dessen hat das Bundesinnenministerium (BMI) am 11. August 2025 ein aktualisiertes Rundschreiben veröffentlicht, das wesentliche Änderungen in der Anwendungspraxis enthält.
Zentrale Neuerung ist der Ausschluss vom Schutzstatus in Deutschland, wenn bereits ein entsprechender Aufenthaltstitel in einem anderen EU-Staat besteht. Ausnahmen gelten nur, wenn dort kein Titel erteilt wurde. Die Ausländerbehörden sollen dies durch Dokumentenprüfung oder gezielte Befragungen feststellen. Bei Ablehnung des Schutzes nach § 24 AufenthG droht die Ausreisepflicht sowie eingeschränkte Leistungen nach dem AsylbLG. Eine Duldung wird in diesen Fällen nicht mehr gewährt.
Positiv hervorzuheben ist die erweiterte Möglichkeit zum Spurwechsel: Ein Wechsel aus § 24 AufenthG in andere Aufenthaltstitel – etwa für Studium, Forschung oder die Blaue Karte – ist nun möglich, sofern die Titel nicht durch § 19f AufenthG gesperrt sind.
Weitere Änderungen betreffen die Ablehnung des Schutzes bei Einreise aus Drittstaaten, die Einschränkung des begünstigten Personenkreises sowie die vorrangige Nutzung ukrainischer Reisepässe. Die Entwicklungen bleiben insbesondere im Hinblick auf laufende Gerichtsverfahren weiter zu beobachten. Mehr
3. Migration und Kriminalität: Fakten statt Vorurteile
In der öffentlichen Debatte wird Migration häufig mit einem Anstieg der Kriminalität verknüpft. Der Begriff „importierte Kriminalität“ suggeriert, dass Zuwanderung ein Sicherheitsrisiko darstellt. Die Kriminologin Susann Prätor widerspricht im Interview mit dem Mediendienst Integration dieser Annahme: Seit 2005 ist die Zahl der ausländischen Bevölkerung deutlich gestiegen, während die registrierten Straftaten zurückgingen. Die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) bildet nur das sogenannte Hellfeld ab – also angezeigte Straftaten. Studien zeigen, dass Personen, die als nichtdeutsch wahrgenommen werden, häufiger angezeigt werden als Deutsche, was zu einer verzerrten Darstellung führt.
Aussagekräftiger sind Dunkelfeldstudien, die auch soziale Faktoren wie Armut, Bildung und Wohnsituation berücksichtigen. Sie zeigen: Nicht die Herkunft, sondern belastende Lebensumstände erhöhen das Risiko für Gewalt. Wenn diese Faktoren vergleichbar sind, unterscheiden sich deutsche und nichtdeutsche Jugendliche kaum im Gewaltverhalten. Prätor betont, dass Prävention – etwa durch bessere Bildungszugänge, Freizeitangebote und sichere Perspektiven – wirksamer ist als pauschale Zuschreibungen. Die geplante Ausweisung doppelter Staatsangehörigkeiten in der PKS bewertet sie kritisch: Sie fördere Vorurteile, ohne zur Ursachenklärung beizutragen.
4. Geplante Erfassung von Mehrfachstaatsangehörigkeiten in der Kriminalstatistik NRW
Das Innenministerium Nordrhein-Westfalen plant, ab Juli 2025 in der polizeilichen Kriminalstatistik auch doppelte Staatsangehörigkeiten von Tatverdächtigen und Opfern auszuweisen. Bisher wurde lediglich eine Staatsangehörigkeit erfasst. Die Umsetzung gestaltet sich jedoch schwierig, da belastbare Daten zu Doppelstaatlern in Deutschland fehlen. Mehr dazu in einer Rubrik des Mediendienst Integration.
Die Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege NRW (LAG FW) äußert in einem Schreiben an Minister Reul deutliche Kritik an diesem Vorhaben. Sie warnt vor negativen gesellschaftlichen Folgen und betont:
- Die Staatsangehörigkeit ist für die strafrechtliche Bewertung einer Tat unerheblich.
- Kriminalität entsteht durch soziale, wirtschaftliche und strukturelle Faktoren – nicht durch Herkunft.
- Die Nennung von Mehrfachstaatsangehörigkeiten kann unbegründete Zusammenhänge zwischen Herkunft und Fehlverhalten suggerieren und zur Stigmatisierung beitragen.
- Eine solche Praxis widerspricht dem Pressekodex und kriminologischen Erkenntnissen und kann rassistische Tendenzen verstärken.
5. Integration von Geflüchteten: Fortschritte mit Luft nach oben
Zehn Jahre nach „Wir schaffen das“ zeigt sich: Die Integration von Geflüchteten in den deutschen Arbeitsmarkt verläuft insgesamt positiv, bleibt aber hinter dem Niveau der Gesamtbevölkerung zurück. Laut einer aktuellen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung liegt die Beschäftigungsquote der 2015 zugezogenen Schutzsuchenden bei 64 %, gegenüber 70 % in der Gesamtbevölkerung. Besonders deutlich ist das Gefälle zwischen den Geschlechtern: Während 76 % der Männer erwerbstätig sind, liegt die Quote bei Frauen nur bei 35 %. Auffällig sind zudem große regionale Unterschiede bei Beschäftigung und Verdienst. Diese spiegeln die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Arbeitsmarktlage der jeweiligen Regionen wider.
Die Studie kommt zu dem Schluss: Eine stärkere Berücksichtigung arbeitsmarktrelevanter Kriterien bei der räumlichen Verteilung von Geflüchteten hätte die Integration deutlich verbessern können. Hier liegt ein zentrales Handlungsfeld für zukünftige migrationspolitische Strategien. Mehr
6. Arbeitshilfe zur Wohnsitzregelung und anderen Instrumentarien des Aufenthaltsrechts
Das Thüringer Netzwerk „Bleibdran+“ hat eine Arbeitshilfe veröffentlicht, die sich mit Regelungen zur Bewegungsfreiheit von Geflüchteten beschäftigt. Sie erklärt kompakt und verständlich, was hinter Begriffen wie Residenzpflicht, Wohnsitzauflage und Wohnsitzregelung steckt. Diese betreffen Menschen im Asylverfahren, mit Duldung oder mit anerkanntem Schutzstatus in den ersten drei Jahren. Die Broschüre zeigt auf, welche gesetzlichen Grundlagen gelten, welche Konsequenzen bei Verstößen drohen und unter welchen Umständen eine Aufhebung der Auflagen möglich ist – etwa bei einem notwendigen Umzug. Für Ehrenamtliche bietet sie eine gute Orientierung, um Ratsuchende gezielt zu unterstützen und individuelle Handlungsspielräume zu erkennen. Mehr
7. Versorgungsleistungen für Asylsuchende mit Behinderungen
Der Caritasverband für die Diözese Osnabrück hat eine Übersicht zu Versorgungsleistungen für Asylsuchende mit Behinderungen veröffentlicht. Die Handreichung informiert unter anderem über die Gesundheitsleistungen nach dem AsylbLG während der ersten 36 Monate sowie anschließend. Dabei wird besonders auf die Leistungen eingegangen, auf die Menschen mit einer Behinderung Anspruch haben, darunter etwa Hilfsmittel sowie besondere Therapien. Weiterhin wird erläutert, welche Unterbringungsarten für Menschen mit Behinderung und welche Pflegeleistungen gegebenenfalls infrage kommen. Im Anschluss an die deutsche Textfassung werden wesentliche Informationen in leichter Sprache widergegeben. Daneben liegen Übersetzungen in folgenden Sprachen vor: Arabisch, Englisch, Französisch, Kurdisch, Persisch, Russisch und Spanisch. Mehr
8. Vielfaltsbarometer 2025: Rückgang der Akzeptanz gegenüber ethnischer und religiöser Vielfalt
Nach 2019 hat die Robert Bosch Stiftung zum zweiten Mal ein Vielfaltsbarometer veröffentlicht. Dafür wurden rund 4.800 deutschsprachige Personen im Alter ab 16 Jahren online befragt. Das aktuelle Vielfaltsbarometer zeigt: Die gesellschaftliche Offenheit gegenüber ethnischer Herkunft und Religion nimmt deutlich ab. Nur noch 56 % der Befragten empfinden ethnische Vielfalt als Bereicherung – 17 Prozentpunkte weniger als 2019. Damit ist die ethnische Herkunft das am stärksten polarisierende Merkmal unter den untersuchten sieben Dimensionen.
Auch die Akzeptanz religiöser Vielfalt ist rückläufig. Nur ein Drittel der Bevölkerung sieht unterschiedliche Glaubensrichtungen positiv. Besonders betroffen ist der Islam, gegenüber dem die Skepsis weiter zunimmt. Ursachen sind unter anderem globale Krisen, wirtschaftliche Unsicherheit und politische Polarisierung, die Rückzugstendenzen und Ablehnung gegenüber „dem Fremden“ fördern.
Für Engagierte in der Flüchtlingshilfe bedeutet das: Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Integration und Teilhabe werden schwieriger. Umso wichtiger sind lokale Initiativen, die Begegnung ermöglichen, Vorurteile abbauen und den Wert von Vielfalt sichtbar machen. Sensibilisierung und Dialog bleiben zentrale Werkzeuge, um Brücken zu bauen und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Mehr
9. Ausbildung zur Pflegefachkraft – keine Beschäftigungserlaubnis notwendig
Claudius Voigt, Referent bei der GGUA Münster, weist auf eine Klarstellung des Integrationsministeriums NRW (MKJFGFI) in Bezug auf eine Ausbildung zur Pflegefachkraft hin:
Für schulische Ausbildungen ist keine Beschäftigungserlaubnis der Ausländerbehörde nötig – auch nicht für Menschen mit Duldung oder Aufenthaltsgestattung, die einem Beschäftigungsverbot unterliegen. Laut einer Mitteilung des MKJFGFI NRW vom 10.09.2025 zählt auch die Ausbildung zur Pflegefachkraft dazu, obwohl sie Praxisphasen und Vergütung umfasst. Das MAGS NRW bestätigt: Die Ausbildung gilt als schulisch, da Pflegeschulen die Gesamtverantwortung tragen – unabhängig vom Verhältnis Theorie zu Praxis (2.500 Praxis- vs. 2.100 Theorie-Stunden).
In der Praxis bedeute das:
- Auch Personen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ mit Duldung/Gestattung dürfen diese Ausbildung absolvieren
- Eine Ausbildungsduldung ist meist nicht nötig
- Für Aufenthalt nach § 16a AufenthG ist keine Zustimmung der BA oder Beschäftigungserlaubnis erforderlich
Dennoch fordern viele Ausländerbehörden und Pflegeschulen weiterhin eine Beschäftigungserlaubnis. Die klare Position des Ministeriums bietet jedoch eine gute Argumentationsgrundlage für Betroffene und Unterstützer*innen.
10. Mehrsprachige Informationsmaterialien zum Hitze- und UV-Schutz
Im Frühjahr 2025 hat das Landeszentrum Gesundheit NRW (LZG.NRW) mehrsprachige Flyer und Poster entwickelt, um die gesundheitsbezogene Kommunikation zu Hitze- und UV-Schutz in NRW weiter zu stärken. Die Materialien richten sich an alle Menschen in NRW und stehen in folgenden Sprachen zur Verfügung: Deutsch, Arabisch, Englisch, Polnisch, Russisch und Türkisch. Die Informationsmaterialien (Flyer und drei Poster) thematisieren unterschiedliche Aspekte des Hitze- und UV-Schutzes. Vor allem der Flyer eignet sich sowohl für die digitale Nutzung als auch für den Druck. Mehr
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Gut zu wissen ...
Immer wieder erreichen uns Fragen nach Rechtsprechung und Erlassen u.a. zu Dublin-Verfahren, Aufenthaltsrecht, Asylrecht, AsylbLG. Um Redundanzen zu vermeiden möchten wir an dieser Stelle auf die Entscheidungsdatenbank des Informationsverbundes Asyl & Migration verweisen. Interessierte können außerdem den Newsletter des Informationsverbundes abonnieren. An dessen Ende steht immer eine Übersicht zur aktuellen Rechtsprechung.
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Herausgeber: Ralf Nolte, Flüchtlingsbeauftragter
Redaktion: Hezni Barjosef, Koordination Flüchtlingshilfe im Erzbistum Paderborn,