Weihnachten 2022

Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Engagierte in der Geflüchtetenhilfe im Erzbistum Paderborn,

Jahr für Jahr blicken wir um diese Zeit zurück und stellen fest, dass viele Herausforderungen zu stemmen waren. Doch das vergangene Jahr war ein ganz besonderes. Nur um einige Argumente dafür zu nennen: die andauernde Pandemie, ein Angriffskrieg Mitten in Europa, die Wirtschaftskrise, neue Zäune an den EU-Grenzen, die brutale Unterdrückung von Menschenrechten im Iran und infolgedessen über eine Million neue Geflüchtete, die ihre Hoffnung auf Deutschland gesetzt haben. Sicherlich ist die Kette sehr lang und weder haben die Kriege in Syrien, Afghanistan, Jemen und Äthiopien aufgehört, noch hat das Sterben im Mittelmeer abgenommen oder die Politik eine Antwort auf die dramatischen Klimaveränderungen gefunden.

Trotz alledem erfreuen wir uns vieler positiver Aspekte, von denen ich nur drei erwähnen möchte: a) die Willkommenskultur gegenüber Menschen aus der Ukraine und dadurch der Beweis dafür, dass eine andere Flüchtlingspolitik möglich ist, b) positive Signale aus der Politik (Chancen-Aufenthaltsrecht für langjährig Geduldete, Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan, Aussetzung der Abschiebung in den Iran), c) höchstrichterliche Korrekturen gesetzlicher Vorschriften (Urteil des BVerfG zur Unrechtmäßigkeit von Leistungskürzungen im AsylbLG, Urteil des EuGH, dass Nationalgerichte von sich aus die Rechtmäßigkeit der Abschiebehaft zu prüfen haben und die überfällige Klarstellung des EuGH zur deutschen Rechtspraxis bezüglich des für den Familiennachzugs von und zu minderjährigen Flüchtlingen ausschlaggebenden Alters). Das alles ist möglich, weil Kirchen, Wohlfahrtsverbände, die Zivilgesellschaft und jeder Einzelne die Stimme erhebt. Es handelt sich dabei um eine starke Antwort auf demokratiefeindliche Entwicklungen in unserer Gesellschaft.

Mit dieser kurzen und letzten Ausgabe des Jahres 2022 verabschiede ich mich in den Ruhestand und danke Ihnen für die vertrauensvolle Zusammenarbeit seit Herbst 2019 als Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen im Erzbistum Paderborn. Bleiben Sie gesund und werden Sie bitte nicht müde, sich immer wieder für Menschen einzusetzen, die ihre Hoffnung in uns als Kirche und Gesellschaft gesetzt haben.

Frohe Weihnachten und Gottes Segen für Sie und Ihre Familien im neuen Jahr.

Ihr Josef Lüttig

 

1. Chancen-Aufenthaltsrecht tritt zum 01.01.2023 in Kraft

Am 2. Dezember 2022 hat der Bundestag das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht beschlossen. Ab Anfang nächsten Jahres erhalten viele Menschen mit Duldung die Chance auf eine dauerhafte Bleibe in Deutschland. Dafür wird im §104c AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe eingeführt. Diese sieht vor, dass Menschen, die am 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen, eine auf Dauer angelegte Perspektive erhalten. Die Betroffenen erhalten ein 18-monatiges Aufenthaltsrecht. In dieser Zeit haben sie die Möglichkeit, die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht zu erfüllen. Dazu gehören insbesondere Nachweise über die Lebensunterhaltssicherung durch eine Erwerbstätigkeit, gute Kenntnisse der deutschen Sprache und der Nachweis ihrer Identität. Werden die Bedingungen für ein Bleiberecht nach 18 Monaten nicht erfüllt, fallen die Betroffenen wieder auf den Duldungsstatus zurück. Eine Verlängerung ist nicht möglich. Bei integrierten Jugendlichen beträgt die genannte Voraufenthaltszeit drei Jahre. Für Jugendliche und junge Erwachsene, die aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung die geforderten schulischen Erfolge nicht erbringen können, kennt das Gesetz Ausnahmen. Das Gesetz hat auch positive Auswirkungen auf Aufenthaltstitel nach §25a und §25b AufenthG. Außerdem erhalten Asylsuchende ohne Rücksicht auf das Herkunftsland und Einreisedatum Zugang zu Integrations- und Berufssprachkursen.

2. Keine Abschiebungen in den Iran

Die Innenminister*innen vom Bund und den Ländern haben sich auf ihrer Herbsttagung in München darauf verständigt, dass Abschiebungen in den Iran bis auf Weiteres ausgesetzt werden. Es handelt sich dabei um keinen formalen Abschiebestopp gem. §60a Abs. 1 AufenthG, weshalb Expert*innen davon ausgehen, dass ein erneuter Beschluss der Ressortchefs erforderlich ist, bevor Abschiebungen wieder möglich werden. Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen hatten im Vorfeld einen generellen Abschiebestopp gefordert. Grund für diese Entscheidung der IMK sind die nach Monaten anhaltenden Proteste gegen das Regime sowie dessen brutale Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung. Mehrere Menschen wurden bereits mit fadenscheinigen Argumenten hingerichtet. Das Protokoll der IMK finden Sie hier.

3. Ukraine: Aufenthaltsübergangsverordnung wurde erneut verlängert

Die Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung wurde durch Verordnung vom 28. November 2022 nochmal bis zum 31. Mai 2023 verlängert. Die Verordnung regelt die vorübergehende Befreiung vom Erfordernis, bei der Einreise im Besitz eines Aufenthaltstitels zu sein. Die Geltung dieser Befreiung wurde vom 30. November 2022 auf den 31. Mai 2023 verlängert. Aus der Ukraine geflüchtete ukrainische Staatsangehörige und Drittstaatsangehörige, die zwischen dem 01. Dezember 2022 und 31. Mai 2023 neu einreisen, sind damit für einen Zeitraum von 90 Tagen ab Einreise in das Bundesgebiet vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit und können die für einen längeren Aufenthalt notwendige Aufenthaltserlaubnis nach der Einreise beantragen. Den Text der Verordnung finden Sie hier.

4. Konsequenzen aus dem EuGH-Urteil zum AsylbLG

Das Bundesverfassungsgericht hatte im vergangenen Oktober eine Regelung im §2 AsylLG für verfassungswidrig erklärt. Demnach werden alleinstehende Personen in Gemeinschaftsunterkünften als „Schicksalsgemeinschaft“ eingestuft und erhalten um 10% verkürzte Leistungen. Zur Frage, was das Urteil für die Praxis bedeutet und welche Schritte Betroffene, auch für zurückliegende Zeiträume, unternehmen können, hat das Team der GGUA eine Arbeitshilfe erstellt. Außerdem hat Roland Rosenow für die Diakonie eine hilfreiche Handreichung herausgegeben. Diese behandelt unter anderem die rückwirkende Durchsetzung von Nachzahlungen.

5. Informationen für Eltern und Begleitpersonen von Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine

Der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. hat gemeinsam mit anderen Organisationen eine Broschüre für Eltern und Begleitpersonen von Kindern aus der Ukraine herausgegeben. Die Broschüre liegt auf Deutsch, Englisch, Ukrainisch und Russisch vor. Mehr

6. Vorbereitungstagung zur Interkulturellen Woche 2023

Am 24. und 25. Februar findet die bundesweite Vorbereitungstagung zur Interkulturellen Woche (IKW) 2023 statt. Das Motto lautet „Neue Räume“. Damit lassen sich Assoziationsketten bilden, die für die Ziele der IKW stehen: Neue Räume öffnen, gestalten, schaffen, verbinden, nutzen oder betreten. Es geht um die Forderung nach neuen Räumen und um das Erkennen von neuen Räumen. Wer hat Zugang, wer bleibt ausgeschlossen und warum? Und braucht es immer neue Räume oder vielleicht auch die Bereitschaft zur Wahrnehmung für die bereits erkämpften? Der Ökumenische Vorbereitungsausschuss (ÖVA) zur Interkulturellen Woche lädt dazu ein, sich mit diesen Gedanken im Hinterkopf mit den Inhalten und Zielen der Interkulturellen Woche auseinanderzusetzen. Eine Anmeldung zur Vorbereitungstagung ist ab dem 17. Januar 2023 möglich. Das ständig aktualisierte Tagungsprogramm finden Sie hier.

7. Integrationsbarometer 2022

Alle zwei Jahre stellt der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) den Integrationsklima-Index vor. Dieser wird im Rahmen einer repräsentativen Befragung ermittelt. Für das aktuelle Integrationsbarometer wurden 15.005 Personen, 8.005 Menschen ohne und 7.000 Menschen mit Migrationshintergrund, befragt. Zentrale Aussagen: Der Index erreicht, ungeachtet des erneut starken Zuzugs von Flüchtlingen insbesondere aus der Ukraine und den damit verbundenen Herausforderungen, seinen höchsten Wert seit Erhebungsbeginn. Eintrübungen ergeben sich durch die Erfahrung von Diskriminierung und wahrgenommene Gleichstellungshindernisse. Bei der politischen Partizipation besteht weiter eine Teilhabelücke (z.B. geringe Teilnahme von Eingebürgerten an Wahlen); zentrale Elemente des demokratischen Systems finden breite Unterstützung. Viele Befragte vermissen zudem eine Gleichbehandlung aller Bevölkerungsgruppen und Chancengleichheit bei gleichen Leistungen für Schüler*innen. Mehr

8. Abschiebehaft Düsseldorf: Bündnis fordert Aufklärung

In Büren befindet sich die bundesweit größte Abschiebehaft (offiziell: Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige – UfA) mit 175 Plätzen. Bereits die Vorgängerregierung in NRW hatte die Vorbereitungen für die Errichtung einer zweiten UfA mit zunächst 25 Plätzen in der Nähe des Düsseldorfer Flughafens auf den Weg gebracht. Die neue Landesregierung will offensichtlich an der Umsetzung festhalten. Das Bündnis „Abschiebegefängnis verhindern – in Düsseldorf und überall“ kritisiert das Vorhaben vom Anfang an und wirft der Landesregierung Intransparenz vor. Mehr

9. Ukrainerinnen in Deutschland

Etwa 1 Million Ukrainer*innen sind laut UNHCR bis November 2022 vor dem Krieg nach Deutschland geflohen. Die Mehrheit von ihnen sind Frauen mit kleinen Kindern. Vor welchen Herausforderungen stehen sie – und wollen sie hierbleiben? DeZIM (Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung) hat neulich Befunde aus ausführlichen qualitativen Interviews mit 32 Ukrainerinnen präsentiert. Zentrale Ergebnisse der Studie:

  • Die EU-Massenzustrom-Richtlinie verleiht aus der Ukraine geflüchteten Menschen einen Sonderstatus, der ihre Integration in einigen Bereichen vereinfacht. Beispielsweise nahmen alle Befragten schon kurz nach ihrer Ankunft an Sprach- und Integrationskursen teil.
  • Dennoch sind die geflüchteten Ukrainerinnen unmittelbar nach ihrer Ankunft in Deutschland mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert wie andere Geflüchtete. Neben Sprachbarrieren gerade im Kontakt zu Behörden beklagen viele Befragte, dass ihnen wichtige Informationen fehlen. Und die Frauen berichten, dass ihre Wohnsituation prekär ist, etwa, weil sie in der aktuellen privaten oder staatlichen Unterkunft nur begrenzte Zeit bleiben können und noch keine Anschlussperspektive haben.
  • Ob die Frauen beabsichtigen, in die Ukraine zurückzukehren oder vorerst in Deutschland zu bleiben, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Eine Rolle spielen unter anderem ihr sozio-ökonomischer Status vor der Flucht, das Alter ihrer Kinder, die Anwesenheit ihres Partners in Deutschland und ihr aktueller Wohnort. Zum Beispiel wünschen sich viele Frauen mit Kindern im Jugendalter, dass diese in Deutschland die Schule abschließen und ein Studium beginnen können.

10. Studie: Mehr Ausbildung wagen!

Für junge Menschen, die keinen formalen beruflichen Bildungsabschluss besitzen, bietet eine Ausbildung eine hervorragende Möglichkeit im deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Bei der Bewerbung auf einen Ausbildungsplatz haben es Geflüchtete jedoch vielerorts schwer. Die Studie „Mehr Ausbildung wagen! -Barrieren und Chancen für die Einstellung von Geflüchteten in deutschen Unternehmen“ der Julius-Maximilians-Universität Würzburg analysiert Hemmnisse und deren mögliche Beseitigung.

Fazit der Autoren: Die duale Ausbildung kann als Türöffner für die Integration von Geflüchteten dienen. Hierfür müssen aber alle Seiten aktiv werden. Geflüchtete sollten versuchen (und dahingehend beraten werden), sich durch gute Sprachkenntnisse, Disziplin und Motivation auszuzeichnen. Die Unternehmen sollten verstärkt niedrigschwellige Schnupperpraktika anbieten, die eine bessere Einschätzung der Qualifikation der Geflüchteten für eine Ausbildung ermöglichen. Die Kammern und die Politik sollten für Zugang zu (sprachlichen) Förderprogrammen und deren enge Verzahnung mit der dualen Ausbildung sorgen. Mehr

Eine andere Studie bestätigt Diskriminierungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund bei Bewerbung auf Ausbildungsplätze. "Jugendliche mit Migrationshintergrund und Hauptschulabschluss werden bei der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz benachteiligt. Sie sind häufig mit Zweifeln an ihrer Eignung konfrontiert, die auf Vorurteilen beruhen. Das hat dramatische Folgen für die Betroffenen selbst – ihr gesamter weiterer Lebensweg wird dadurch erschwert, dass sie nicht die gleichen Chancen erhalten wie andere", so die Autorinnen Dr. Janina Söhn, Uni Göttingen, und Sophie Krug von Nidda, Uni Paderborn. Mehr

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Herausgeber: Josef Lüttig, Flüchtlingsbeauftragter

Redaktion: Hezni Barjosef, Koordination Flüchtlingshilfe im Erzbistum Paderborn, ;